THINK & DO

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Transkript

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00:16-2#

Michael Sonnabend: Hallo und herzlich willkommen zu Think & Do, dem Podcast-Magazin des Stifterverbandes. Mein Name ist Michael Sonnabend, und ich begrüße alle recht herzlich hier zu einer neuen Ausgabe, in der wir heute einmal über so Themen sprechen wollen, wie Klimaschutz, Klimawandel, alternative Energien. Und so weiter, und so fort. Und dazu habe ich einen Experten mir eingeladen, nämlich Franz Josef Radermacher. Herzlich willkommen, Herr Radermacher. #00:00:48-4#

F J Radermacher: Ich grüße Sie. #00:00:49-7#

Michael Sonnabend: Und wir beide sitzen hier nicht alleine am Tisch, sondern wir haben noch Verstärkung. Nämlich in Person von Ernst Timur Diehn, seines Zeichens Journalist, Autor-Coach aus Berlin, der die Arbeit von Franz Josef Radermacher auch schon einige Jahre begleitet. Schon viele Interviews gemacht, auch für den Stifterverband einmal. Und umso froher bin ich, dass du heute mit uns hier am Tisch sitzt, und mitdiskutierst. Hallo Timur. #00:01:17-5#

Ernst Timur Diehn: Geht mir genauso mit der Freude, hallo. #00:01:19-3#

Michael Sonnabend: Ja, Herr Radermacher. Sie und den Stifterverband verbindet ja schon eine etwas längere Geschichte. Sie haben schon vor vielen, vielen Jahren Vorträge beim Stifterverband gehalten, vor Landeskuratorien. Wir haben sogar einmal ein Buchprojekt zusammen gemacht. Das war schon 2010, das war sozusagen die Essenz dieser Vorträge, die Sie gehalten haben. Sie waren schon bei uns im Forschergeist-Podcast, haben dort mit Tim Pritlove Dinge diskutiert. Also es gibt eine längere Geschichte, die uns verbindet. Das ist aber alles, was ich jetzt aufgezählt habe, schon so ein bisschen länger her. Und jetzt hatten wir ja diese, ja, relativ einschneidende Pandemie. Wie haben Sie denn die letzten anderthalb Jahre, oder zwei Jahre, erlebt? #00:02:13-8#

F J Radermacher: Gut, für mich war zunächst einmal wesentlich, die enormen Freiheitseinschränkungen, die ja im ökonomischen Bereich grausam waren, und ganz viele Existenzen vernichtet haben. Vor allen Dingen kleine Existenzen. Das sind auch die, denen nicht wesentlich geholfen wurde. Die waren einfach Kollateralschaden. Und wir haben als Gesellschaft eine enorme Panik entwickelt. Natürlich nachvollziehbar, wir waren ja auch in einer schwierigen Situation. Ich glaube trotzdem, dass wir es mit einer Reihe der Maßnahmen übertrieben haben. Und ich glaube, dass ganz viele in der Politik einen zunehmenden Lustgewinn darin hatten, immer noch rigider irgendwelche einschränkenden Maßnahmen zu fordern. Und das ist ja sehr bequem. Wenn ich immer noch weitere, stärkere Maßnahmen fordere, dann kann man mir jedenfalls nie vorwerfen, ich hätte irgendwelche Risiken auf die Gesellschaft verschoben. Nein, ich habe immer zu retten versucht. Weil man überall den Schaden, den man ja dadurch anrichtet, dass man eben alles Mögliche verbietet, über den muss man nie Rechenschaft ablegen. Weil dieser Schaden ist ja nicht nachweisbar. Wenn Existenzen vernichtet werden, dann kann man immer sagen: „Ja, andere Existenzen werden auch vernichtet. Das ist nun mal so.“ Aber wenn irgendwo ein paar Tausend Leute sterben, dann ist die Hölle los. Wobei man sich aber vor Augen führen muss, dass wir alleine bei der Deutschen Bahn im Jahr über tausend Selbstmorde haben. Und wir haben unglaubliche Zahlen von Menschen, die viel zu früh sterben, wegen sozialer Knappheiten, wegen fehlender Mittel. Aber, wie gesagt, immer da, wo man das dann eindeutig würde nachweisen können, wäre die politische Verantwortung schwieriger zu tragen. Also ist es sehr bequem, immer zu fordern, dass man noch länger, und noch mehr, und noch mehr/ Und das ist sehr bequem, und das machen viele. Man kann darin auch im Grunde genommen sich als tatkräftig dem Publikum präsentieren. Und was mich sozusagen am meisten erschüttert, ist, wie die Menschen das alles hinnehmen. Das heißt, die Menschen sind sehr bereit, ihre Freiheit zu opfern, wenn es einem vermeintlichen Risiko zu begegnen gilt. Die Leute sind nicht mutig. Ja, auch nicht mutig, etwa im Vertrauen auf ihr eigenes Immunsystem. Nein, es muss alles/ Und dann ist natürlich klar, sagen wir einmal, diese Pandemiebeschränkungen haben ja für viele ganz viele Vorteile gebracht. Also gut bezahlte Personen, vor allen Dingen in den Administrationen, sicheres Einkommen, können jetzt auch noch von zu Hause arbeiten. Wenn ich jetzt ein super Haus habe, mit einem super Garten, und so weiter, mein eigentliches Problem ist, wie ich immer diese Entfernungen bewältige, was ich mache, wenn ein Kind krank ist, und so, kann ich jetzt plötzlich in einer viel besseren Situation sein, als früher. Deshalb gibt es ja auch ein Segment in unserer Gesellschaft, das jetzt am liebsten auch noch gerne ein Recht auf Home Office hätte. Sodass der Arbeitgeber, bei dem sie beschäftigt sind, jetzt diese Beschäftigung nur noch unter wesentlichen Beiträgen vom Home Office überhaupt erst realisieren darf. Man merkt also, es gibt immer Gewinner und Verlierer. Und es gibt Konstellationen, da wollen die Leute nach draußen. Das sind die jungen Leute. Die jungen Leute, aus nachvollziehbaren Gründen, wollen zur Disko. Die wollen auf die Wiese, die wollen andere, junge Leute treffen. Und dann gibt es die, zehn, 15 Jahre älter. Und die haben jetzt die zwei, drei kleinen Kinder. Die haben jetzt ihr Häuschen, die haben ganz andere Sorgen. Die können sich da gut in der Pandemie einrichten. Und dann gehen die einen Interessen eben gegen die anderen. Und mir kam in dem gesamten Prozess die Freiheit zu kurz. Oder die Verluste, die man erzeugte, kamen mir zu kurz. Und wie viele Menschen sich bereitwillig die Rechte nehmen ließen, das hat mich auch etwas erschüttert. #00:06:41-2#

Michael Sonnabend: Hätte es, Ihrer Meinung nach, Alternativen dazu gegeben? #00:06:45-7#

F J Radermacher: Ja natürlich hätte es Alternativen gegeben. Es hätte die ja insbesondere deshalb gegeben, weil die Risiken, nach allem was wir wissen, waren ja nur richtig substanziell für Risikogruppen. Also Leute die gesundheitlich vorbelastet sind, Leute die älter sind. Das ist das wirkliche Risikothema. Und wir haben aber wegen der Gefahr, dass die Risikogruppen sich anstecken, extrem viel verboten bei denen, die gar kein Risiko sind. Wir haben die Steigerung jetzt davon im Moment bei kleinen Kindern. Kleine Kinder haben im Wesentlichen null Risiko. Deren Immunsystem funktioniert. Die können sich zwar anstecken, aber das ist für die wie eine kleine Grippe. Also wenn wir immer darüber reden, wir müssen die Kinder schützen, nein, das Thema ist nicht, die Kinder zu schützen. Sondern das Thema ist, dass diese Kinder natürlich auch eine Ansteckungsgefahr für Leute darstellen, die Risikogruppe sind. Also wir wollen die Kindern impfen, jetzt schon mittlerweile, die Kinder möglicherweise wieder nach Hause schicken, immer aus Angst um die Risikogruppe. Wobei die Steigerung der Steigerung ist, dass wir dann Mitglieder der Risikogruppe haben, wegen denen wir das alles machen müssen, die sich aber nicht impfen lassen wollen. Sodass das Problem weiter existiert. Mittlerweile ist doch das einzige, wirkliche Risiko, das Risiko von Leuten, die Risikogruppe sind, und sich nicht impfen lassen. Und die Gesellschaft steht vor dem Problem: Wie schütze ich die, die Risikogruppe sind, und sich nicht impfen lassen? Und die ein Risiko für sich sind, und für andere? Aber insbesondere für andere aus der Risikogruppe, die sich nicht impfen lassen? Und dieses wird bei uns alles gar nicht transparent diskutiert. Bei uns ist das zum Schluss alles dasselbe. Und zum Schluss sind noch die Kinder die Mörder der Oma. Ja, und so wird das dann alles thematisiert, und das ist nur ganz schwer auszuhalten. #00:08:51-6#

Michael Sonnabend: Ja. Also ich denke, wir könnten jetzt an dem Punkt weitermachen, und würden wahrscheinlich dann die ganze Zeit über Corona und die Pandemie und die Folgen/ Also ich hätte Sie jetzt auch noch sehr gerne gefragt, wie Sie denn die Rolle der Wissenschaft eigentlich auch gesehen haben? Sie sind ja selber auch ein Mann der Wissenschaft. Und die Wissenschaft war ja plötzlich dann auch auf einmal mittendrin. Und Wissenschaftliche Expertise war gefragt wie nie. Und wir hatten die Menschen in den Talkshows, und es war plötzlich eine Nachfrage nach Wissenschaft da, die wir so gar nicht gekannt haben. Also ich bin ja jemand, der auch immer versucht hat, Wissenschaftskommunikation zu machen. Gerade aus dem Grund heraus, wie Wissenschaft so oft nicht gehört wird. Und jetzt wurde das ja quasi abgesaugt, aus der Wissenschaft. Und plötzlich standen wir aber vor der Situation, dass manche Wissenschaftler sehr gelitten waren. Ja, also gerade in den großen Nachrichtenhäusern. Und andere wiederum nicht. Und dann gab es teilweise so richtige, also, man hat sich ja gefühlt, als wäre man irgendwie beim Boxkampf, oder so. Also ich setze jetzt zehn Euro auf den. Also Wissenschaft war plötzlich wie so ein Entertainment. Und das war etwas, was mich so umgetrieben hat. Dass wir plötzlich in so einer völlig anderen Situation waren, und Wissenschaft eine ganz andere Funktion bekommen hat. Wie haben Sie das gesehen? #00:10:21-0#

F J Radermacher: Also ich nehme einmal zwei Bilder da heraus. Das eine Bild ist: „Pandemie hin oder her, ich bin immer noch sehr viel gereist. Und es war sehr viel möglich. Und es war teilweise sogar angenehm. Also ich fahre ganz viel Deutsche Bahn. Da war die Deutsche Bahn plötzlich immer leer. Man hatte immer einen Tisch. Man konnte immer in Ruhe arbeiten.“ Also damit wollte ich sagen, für einen, der nicht so ängstlich ist, gab es durchaus noch viele Möglichkeiten. Es gab auch noch Möglichkeiten für Grenzübertritte. Man musste sich was einfallen lassen, und so weiter. Aber sagen wir, für Leute, die sich was einfallen lassen, waren da Optionen. Gut. Jetzt, die Wissenschaft war auch immer noch gefragt. Also da, wo ich aktiv bin, war das durchaus immer noch so, dass Leute beraten werden wollten, unterstützt werden wollten. Bei der Medizin ist etwas ganz anderes passiert. Und das haben Sie ja im Grund genommen in der Frage schon ganz gut angedeutet. Wir sind hier eben in der Nähe der Medien. Wir sind hier in der Nähe eines Themas, wo jeder betroffen ist. Wo jeder betroffen ist, werden diese Themen, ich sage einmal, aus der Sicht von jedem diskutiert. Der mit den kleinen Kindern, der mit der Oma, der Opa, der, der was am Bein hat, und so weiter. Alle haben Sorgen, Sorgen, Sorgen. Und das Problem ist ja, eine saubere, transparente Kommunikation, ist unendlich schwierig, weil wir ja auch gar keine systematischen Daten hatten. Das heißt, wir hatten eine grauenhafte Datenlage. Wir haben auch nicht so viel getan, diese Datenlage in Ordnung zu bringen. Weil es auch gar kein so ein großes Interesse daran gab, die Datenlage in Ordnung zu bringen. Sondern eigentlich wollte man nur hören: „Wir müssen jetzt schließen, schließen, schließen.“ Und wir hatten plötzlich einen Wettbewerb unter den Leuten, die man hörte. Einen Wettbewerb, wer noch stringenter, und unter den Ministerpräsidenten, noch stringenter/ Und dann wurde wieder der Wissenschaftler gefragt: „Was sagen Sie denn zu dem, was der Ministerpräsident sagt?“ So. Und alle, die jetzt da anfangen immer zu reden, die waren immer auch damit beschäftigt, dass sie weiter würden gehört werden. Mit anderen Worten, man durfte nicht zu sehr aus diesem Mainstream heraus. Das geht bis hin zum Abschalten von Twitter-Accounts. Leute aus YouTube-Kanälen, sind Leute herausgeworfen worden. Renommierte Wissenschaftler herausgeworfen worden. Weil die waren plötzlich Störfaktor. Die waren jemand, der sagte: „Das ist alles gar nicht so riskant. Und die Datenlage ist nicht in Ordnung. Wir müssten erstmal da gucken.“ Diese Leute haben alle den Betrieb gestört. Und gehört hat man immer auf dieselben, die im Wettbewerb zueinander immer versuchten, dass sie immer noch gehört wurden. Also so eine Erscheinung ist Herr Lauterbach. Man wundert sich, wie man das schafft, dann so richtig bedeutsam zu werden, indem man jeden Tag noch irgendwas sagt, und irgendwas fordert. Die ganze Nation will dann wissen, was sagt denn jetzt Herr Lauterbach? Und deshalb ist das für mich eigentlich kein Ausweis einer Gesellschaft, die sich an Wissenschaft orientiert. So wenig wie im Klimabereich. Wissen tut das Science, ja. Aber die Frage ist, zu welcher Science? Und was ist bei uns mittlerweile Science? Was läuft unter Science? Und welche Storys nach Narrative werden als Science verkauft? Und wie wird das finanziert, dass es diese Storys gibt? Also wir haben mittlerweile eine Situation, wo, wenn wir denn sagen, wir hören auf die Wissenschaft, wir das enorm selektiv tun. Und letzten Endes, meiner Ansicht nach, die Wissenschaft geradezu missbraucht wird, um mit Bezug auf die Wissenschaft Positionen zu verkünden, die man schon vorher hatte, und die nicht in Ordnung sind. Aber durch diese Unterfütterung, die man selber organisiert, wird dann auch noch gegenüber der Bevölkerung der Eindruck erweckt, man wäre hier in einem wissenschaftlich gesicherten Umfeld. #00:14:31-7#

Michael Sonnabend: Aber müsste es da nicht einen Aufschrei in der Wissenschaft geben? Weil so funktioniert ja Wissenschaft nicht. Also Wissenschaft ist ja Unwissen, Wissenschaft ist ja, wir haben schlechte Daten, oder haben nicht die richtigen Daten. Oder Wissenschaft ist Hypothese. Also all das ist Wissenschaft. Aber Wissenschaft ist eben NICHT zu sagen: „So, jetzt müssen wir dies und jenes machen. Weil nur das ist der richtige Weg.“ So funktioniert Wissenschaft ja nicht. #00:14:58-5#

F J Radermacher: Ja, aber der Aufschrei ist ja wirkungslos. Weil er wir ja medial nicht aufgegriffen. Und wenn plötzlich die, die andere Positionen vertreten, jetzt schon zu den Leuten gehören, die Verschwörungstheoretiker sind, diese Leute werden ja sogar in die Ecke gestellt. Es sind ja Leute aus ihren Positionen heraus gedrängt worden. Und das Problem ist doch für einen Wissenschaftler, der jetzt sagt: „Das ist alles mit der Datenlage nicht in Ordnung. Wir müssten jetzt erstmal die und die Untersuchungen machen. Wir müssten die und die Daten erheben.“, ja, wenn das jetzt einer sagt, werde die Daten nicht erhoben. Man braucht ja eine Studie. Man muss das finanzieren, und man muss das organisieren. Man muss das in einer Peergroup absprechen. Aber vor allen Dingen braucht man dafür eine Finanzierung. Und die würde man nicht bekommen. Weil es wir im Grunde genommen das Narrativ finanziert und am Leben erhalten, das sich durchgesetzt hat. Und wer gegen dieses Narrativ angeht, ist ein Störenfried. Der stört im Grunde genommen einen Status quo, an den sich jetzt alle gewöhnt haben, und mit dem man zumindest die Todeszahlen herunterkriegt. Ja, das ist ja das Positive. Wir schützen tatsächlich die Risikogruppen. Wir sorgen dafür, dass die Krankenhäuser nicht total überfüllt sind. Das ist ja auch ein Erfolg. Aber unser eigentliches Thema ist doch nicht, ob wir diesen Erfolg hinkriegen. Sondern, zu welchem Preis kriegen wir den Erfolg hin? Und hätte es nicht andere Wege gegeben, wo wir zu sehr viel niedrigeren, gesellschaftlichen Kosten, etwas dasselbe erreicht hätten? Und das will natürlich keiner hören. Weil das würde dann heißen, wir haben vielleicht doch nicht richtig entschieden. Aber die ganze Story soll ja so aufgebaut sein, dass wir natürlich das Richtige macht haben. Und wir in Deutschland sind sowieso die Besten. #00:16:56-0#

Michael Sonnabend: Ja, sowieso immer. Das ist klar. #00:16:57-6#

F J Radermacher: Immer, wir sind die Besten. Das ist doch so wie immer. #00:17:00-0#

Michael Sonnabend: Genau. Ich weiß gar nicht, worüber wir reden. #00:17:02-4#

F J Radermacher: Also ich habe die Schweiz beobachtet, sehr genau beobachtet. Und die Schweiz hat es meiner Ansicht nach deutlich besser gemacht. Und das ist allein ein Beispiel, dass es eben auch anders hätte sein können. #00:17:17-5#

Ernst Timur Diehn: Haben sich denn da auch die Medien verrannt, in dem Sinne, dass sie sich viel zu schnell auf ein Narrativ eingelassen haben? Dass vielleicht manche Player im Mediensystem sich auch gar nicht bewusst gemacht haben, dass Narrative auch über Lobbyismus vorstrukturiert ins Feld gebracht werden, dass man das kritisch überprüfen muss? Also dieser schmale Grat zwischen, ich bin kritisch, ohne in eine Verschwörungstheorie-Richtung zu gehen. Aber ich bleibe auch systemkritisch. Gleichzeitig gibt es aber auch ganz starke Narrative, die verfolgt werden, die auch Sinn machen würden. Dieses ehrliche Abwägen, als ehrlicher Makler von Diskursen in unserer Gesellschaft, diese Fähigkeit scheint zum Teil den großen Medien auch abhanden gekommen zu sein. Also der Eindruck, der könnte jedenfalls entstehen. #00:18:08-0#

F J Radermacher: Es gibt da mehrere Sichten auf das Thema. Das eine ist, die großen Medien haben ja teilweise von den Hilfsmaßnahmen der Politik sehr profitiert. Und ich werden ich, ich sage einmal, in einen Fundamentalkonflikt mit der Instanz gehen, von der die Finanzierung kommt. Das ist ja ohnehin, ich sage einmal, das Typische an diesem Prozess. Es wird unheimlich viel Geld generiert. Zahlen muss das irgendwer in der Zukunft, und das ist weit, weit weg. Und dieses Geld wird aber insbesondere zu denen gelenkt, die lautstark Widerstand leisten könnten. Und die werden einfach ruhiggestellt. Also mit denen macht man die Deals. Wie gesagt, die Kleinen, zum Beispiel die kleinen Lokalbesitzer und so, die haben zum Teil ihre Existenz verloren. Aber die haben auch keine Organisation, um sich zu wehren. Die haben auch kein Geld auf dem Konto, um ein Jahr durchzustehen. Die können nicht einmal die Zeit durchstehen, bis sie die Anträge gestellt haben, und dann irgendwann auch wirklich was bekommen. Das können immer nur Leute, die schon eine gewisse Leistungsstärke haben. Da fließen die Mittel dahin. Aber jetzt ist noch was anders passiert, und das ist meiner Ansicht nach von viel gravierender. Wir hatten ja immer einen Teil unserer Gesellschaft, die sehr stark für die Bürgerrechte eintraten. Und die waren dann sehr eng auch mit den Grünen verbunden. Da wurde für Bürgerrechte gekämpft. Und mittlerweile ist aber auf der Seite ein Schwenk passiert. Und der hängt mit der Idee zusammen, wir man das Klimaproblem lösen will. Und das Wort ist „Der Klima-Lockdown“. Also mit anderen Worten, die Leute sagen: „Wir haben jetzt gesehen, der Staat kann das machen. Der Staat hat die Macht. Die Leute tun zum Schluss, was der Staat sagt. Natürlich müssen wir viel Geld hereinstecken. Wir sagen, wo es langgeht. Wir werden das Geld drucken. Das mit dem Drucken, das funktioniert schon. Europa ist stark. Unsere Währung ist stark. Wir können das Geld drucken. Ja, wir können noch viel mehr. Wir können eine Taxonomie erfinden. Über die Taxonomie zwingen wir zum Schluss den Finanzsektor, das zu fördern, was wir meinen, was nachhaltig wäre. Das ist aus meiner Sicht nun wirklich nicht nachhaltig. Aber ich habe eine Vorstellung von Nachhaltigkeit. Ich kann die normativ über eine Taxonomie, über Flottenregulierungen in der EU, durchsetzen. Die sind dann materiell da. Alle Akteure müssen sich darauf einstellen. Einstellen heißt zum Beispiel jetzt, wir müssen den Verbrenner durch das Elektroauto ersetzen. Ich will darüber gar keine Diskussion. Ich sage dem VW-Chef: „Du kriegst das Geld. Du wirst damit dicke Geld verdienen. Aber es müssen Elektroautos sein.“ So. Jetzt sagt sich der: „Was soll ich denn jetzt machen?“ Ja? „Bleibe ich bei dem Verbrenner, bei der Richtlinie, gehe ich ökonomisch tot. Gehe ich in das Elektroauto, habe ich zumindest die Elektro-Chance, und der Staat verspricht mir, er bezahlt alles.“ Ja? Das ist nicht anders bei der erneuerbaren Energie. Wir haben ja die teuerste Energie in Europa, den teuersten Strom. Aber wenn ich jetzt den entsprechenden Akteuren verspreche, dass sie ihre Offshore-Windparks hinsetzen können, und ich werde dafür sorgen, dass sich das rechnet, und dafür sorgen heißt, ich werde die Steuermittel aufbringen, und ich werde dem Bürger die Zusatzkosten aufzwingen, und damit wird das ein Geschäftsmodell. Dann baue ich ein neues Geschäftsmodell auf. Und dieses neue Geschäftsmodell wird akzeptiert, und verändert dann eben die Narrative. Und in diesem Prozess sind die Medien natürlich mittendrin. Das heißt, wenn plötzlich die Konzerne sagen: „Ja, das ist die Linie.“, wenn ein VW-Chef sagt: „Es geht nur noch Elektro.“, ja, da sagt sich doch jeder, wer soll hier noch argumentieren, ja? Das fragen sich dann auch viele in der Wissenschaft. Was sollen wir noch argumentieren? In Kürze haben wir keine Studenten mehr für Verbrennermotoren, weil wir ja als Gesellschaft erklären, dass das schmutzig ist, und abgeschafft werden muss. Und dann sieht man, wie über diese Mechanismen eben bestimmte Haltungen durchgesetzt werden. Und da ist für mich der Begriff des Klima-Lockdowns, das ist der Leitbegriff. Also die Vorstellung, wir haben jetzt bei Corona gesehen wie es geht. Die Bürger, ich sage einmal, sind wie die Lämmer. Man kann das mit denen alles machen. Wir sind ja auch überzeugt, wir haben die richtige Lösung. Dann ist es ja auch richtig, wenn die Bürger das mit sich machen lassen. Weil wir wissen ja, was richtig ist. Dann machen wir das eben. Aber dann können wir nicht mehr die Freiheit als die zentrale Story haben. Sondern dann müssen wir geradezu sagen, die Freiheit ist sehr problematisch, wenn die falschen Leute die Freiheit haben. Das sind dann die Leute, die Corona leugnen. Oder das sind die Leute, die Klima leugnen. Oder das sind die Leute, die gegen das Elektroauto reden. Diese Leute sind GEFÄHRLICH. Wir müssen die Freiheit dieser Leute einschränken, dass sie die Dinge sagen dürfen, die sie immer sagen. Und wir müssen auch mit den Medien so kooperieren, dass diese Meinungen nicht in die Medien kommen. Noch mal, der Endzustand ist, ich hole das aus YouTube heraus, und ich stelle es irgendwo bei Twitter, oder wo, ab. Es gibt es das dann nicht mehr. Und dann schaffe ich die Realität, die ich gerne hätte. Und solange so ein Prozess funktioniert, ist es nicht einfach für Leute dagegenzuhalten. #00:23:55-7#

Ernst Timur Diehn: Kann es sein, dass auch intelligente, gute Leute in Medien, in der Industrie, in politischen Zusammenhängen, sich diese Prozesse noch gar nicht genug klargemacht haben, sondern beharren auf Teilerkenntnissen, die ja an sich ja auch immer stimmen. Also haben wir letztendlich, salopp gesagt, irgendwo auch ein Bildungsproblem, was die Thematik Komplexitätsbewältigung angeht? Weil wir reden ja letztendlich über komplexe Themen, und wie man sie bewältigen kann? #00:24:30-5#

F J Radermacher: Ja, man kann das natürlich so ausdrücken, wie Sie das tun. Ja, man kann auch bescheidener sein. Also für mich heißt bescheiden, es gibt enge Grenzen in dem, was Gehirne können. Also erstmal sind Gehirne sowieso sehr verschieden. Das ist das, was Gehirne können, relativ begrenzt. Dann heißt ja Komplexität, man muss im Grunde genommen von sehr, sehr vielen Zusammenhängen sehr, sehr viel verstehen. Und, ich sage einmal, ich hatte das Privileg, Jahrzehnte nichts anderes tun zu müssen, und lese jede Woche ein, zwei Bücher, und jede Woche zehn Papers, und kriege alle möglichen Infos von allen möglichen Leuten. Das ist Fulltime, ja, Fulltime. Ich würde natürlich trotzdem nicht sagen, dass ich alles verstehe. Aber ich würde auch sagen, die allermeisten Leute haben überhaupt keine Chance, so viel zu verstehen wie ich, weil sie ganz andere Pflichten haben. Alle haben ihre Jobs, Familie, Kinder, eine Mutter die krank ist, finanzielle Probleme, alles Mögliche. Diese Leute können ja zum Teil nicht einmal ein Hundertstel der Zeit für die Themen aufbringen, die ich aufbringen kann. Ein Bundestagsabgeordneter, der ist in einer hoffnungslosen Lage. Der muss alle diese ganzen Themen abdecken, hat ja überhaupt gar keine Chance. Und dabei wird von ihm etwas ganz anderes erwartet. Er muss dauernd bei seinem Ortsverein auftreten, er muss bei jedem Festakt in seinem Wahlkreis auftreten. Er muss die ganze Zeit damit verbringen. Dann hat er diese hundert Themen, die alle so kompliziert sind. Und dann muss er politisch entscheiden, und ja oder nein sagen. Deshalb: Der Anspruch, wir könnten mit Bildung oder mit irgendwas die Voraussetzungen dafür schaffen, dass, sagen wir einmal, die große Mehrheit der Bevölkerung viel, viel einsichtiger die Probleme einordnet als heute, das halte ich für vermessen. Das ist der menschlichen Situation, der menschlichen Existenz, und den Möglichkeiten der Gehirne, einfach nicht angemessen. Für mich ist eine der großen Trennungslinien, ist die Mathematik. Es gibt ganz viele Leute, die haben da wirklich Probleme. Probleme schon mit ihrem Gehirn. Und wer, sagen wir einmal, auf der Ebene des kleinen und großen Einmaleins, und der Prozentrechnung, und vielleicht noch exponentiellem Wachstum, wer das nicht verstehen kann, der kann viele der Probleme in unserer Welt schlicht nicht verstehen. Es ist hoffnungslos, er KANN sie nicht verstehen. Und wir können uns auch keinen Mechanismus ausdenken, alle so auszubilden, dass sie das dann anschließen könnten. Sondern wir haben eine ganz andere Lösung gefunden, das ist das Smartphone. Und der Endzustand ist, dass wir dann die Frage dem Smartphone stellen. Und das Smartphone gibt uns dann eben irgendeine Antwort. Und die Antwort ist es dann. Und das heißt ja auch praktisch: Wer mit seinem Gehirn zu einem anderen Schluss kommt, als zum Beispiel Google, der ist ja in einer ganz schwierigen Lage. Weil der muss jetzt überlegen: „Tickt mein Gehirn richtig? Oder gibt es da ein Problem bei Google?“ Ja, und Google irrt sich ja nicht. Aber selbst wenn sich Google irrt, wie soll ich denn mit meinem kleinen Gehirn gegen Google an/? Ja, da kann ich noch irgendwen fragen. Aber wen frage ich denn? Wenn es jetzt einen gibt, von dem viele gute Antworten kriegen, dann fragen den so viele, dass er auch nicht mehr antworten kann. Weil der ist dann einfach kapazitativ zu. Weil so viele von ihm eine Antwort will. So viele schicken ihm Manuskripte. So viele wollen, dass er eine Analyse macht. Ja, aber die Kapazität ist ja nicht da. #00:28:25-5#

Michael Sonnabend: Sie haben gerade schon eigentlich eine gute Überleitung gefunden, in unser eigentliches Gesprächsthema, indem Sie eben das Thema Klima angesprochen haben, und Klima-Lockdown. Wir sind ja jetzt mitten im Wahlkampf. Also wir haben heute den 16.September, wir sind also zehn Tage vor der großen Bundestagswahl, die ja offensichtlich dann auch die Weichen für die nächsten Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, stellen soll. Und das Thema Klima ist ja jetzt auch in dem Wahlkampf immer einmal wieder Thema gewesen, alleine dadurch, dass die Grünen ja jetzt auch eine eigene Kanzlerkandidatin aufgestellt haben. Wie haben Sie das, oder wie beurteilen Sie das, was gerade diskutiert wird in Sachen Klima, Klimaschutz, Energiewende? #00:29:19-7#

F J Radermacher: Also ich schicke einmal vorweg: Das ist jetzt die Wahl, die entscheidet die nächsten Jahre, die nächsten Jahrzehnte. Ich kann mich an keine Wahl erinnern, wo das nicht erzählt wurde. Ja, das wird immer erzählt, das entscheidet. Aber die Wahl entscheidet nicht die nächsten Jahrzehnte. Sondern es muss nur ein Trump kommen, und dann ist wieder alles anders. Und wenn nach Trump ein anderer kommt, dann ist wieder alles anders. Und, also, diese Storys, die berühren mich schon gar nicht mehr, weil ich das ja alles auch jetzt seit vierzig Jahren verfolge, und sich in vierzig Jahren nicht so Entscheidendes verändert hat. Das, was sich am meisten verändert hat, ist, dass jetzt im Wesentlichen nur noch Leute darüber reden, die das Problem im Kern nicht verstehen. Und das ist auch typisch für Deutschland. Also wenn man das Thema richtig verstehen will, das Thema der Nachhaltigkeit und das Klima, dann ist der Ausgangspunkt 1972. Das war die Weltumweltkonferenz in Kopenhagen. Das war parallel dazu, dass der Club of Home Grenzen des Wachstums publizierte. Und Herr Töpfer, der der ist, der meiner Ansicht nach in Deutschland die Entwicklung über die Jahrzehnte am besten überschaut, weil er in ganz vielen Rollen, bis auf die Ebene der vereinten Nationen, ja entscheidend eingebettet war, der nimmt immer 1972 als den Ausgangspunkt. Denn da war die erste Weltumweltkonferenz. Und sie ist total gescheitert. Der Konflikt trat auf zwischen reichen Ländern, und sich entwickelnden Ländern. Und der Wortführer der anderen Seite war die Indira Gandhi. Eine junge Frau, die gerade Ministerpräsidentin geworden ist. Und Indira Gandhi hat im Wesentlichen folgendes gesagt: „Ihr reichen Länder kommt jetzt mit dem Umweltschutz. Nachdem ihr in extrem umweltunfreundlicher Weise und zu Lasten anderer euren Wohlstand aufgebaut habt, kommt ihr jetzt, und wollt alles Mögliche schützen, mit tollen Regelwerken. Wir verstehen das im Wesentlichen so, dass ihr uns mit diesen Regelwerken arm halten wollt, sodass ihr reich seid, die Umwelt geschützt wird, und der Schutz insbesondere darin besteht, dass wir arm bleiben. Wir machen das nicht mit. Für uns gibt es eine Lösung in Bezug auf Umwelt nur, wenn nachholender Wohlstand für uns möglich ist.“ Das heißt, die eigentliche Frage bei Klima, bei Energie, und bei Nachhaltigkeit, ist: Gibt es einen Weg, dass die Menschen in den ärmeren Ländern eine vernünftige Wohlstandsperspektive haben, und wir trotzdem Biodiversity Umweltschutz, und letztes Endes stabiles Klima realisieren? Das ist das eigentliche Thema. Das kommt aber im deutschen Wahlkampf nicht vor. Die Materialisierung dessen, was jetzt in all den Jahren passiert ist, ist China. Also wir haben jetzt in Land aus der Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer, das sich weit in den Wohlstand hinein vorgearbeitet hat. Also in dem Sinne ist es jetzt die Blaupause für nachholende Entwicklung, ist China. Der Preis für den chinesischen Erfolg ist, dass die Chinesen heute mehr CO2 emittieren, als alle Industriestaaten zusammen. Das Thema kommt bei uns aber auch nicht vor. Wir haben eine Situation, dass die Chinesen über tausend Gigawatt Kohlekraftwerke hinstellen, und bauen die weiter aus, und die Deutschen machen einen ganz komplizierten Ausstiegsbeschluss bei Kohle über vierzig Gigawatt. Und das wird uns dreißig bis vierzig Milliarden kosten. Das sind vierzig Gigawatt, und die Chinesen sind über tausend. Und die Chinesen haben in 2019 so viel zugebaut, wie wir bis 2038 abbauen wollen. So. Wenn man dieses versteht, und wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass die Weltbevölkerung jedes Jahr um achtzig Millionen wächst. Jedes Jahr kommt Deutschland dazu, jeden Monat kommt Österreich dazu, alle sieben Wochen kommt Baden-Württemberg dazu. Zweieinhalb Milliarden Menschen bis 2050 kommen dazu. So. Und Minister Müller, mit dem ich ganz viel zusammenarbeite, sagt, das zentrale Thema ist das Menschenrecht auf Zugang zu einer Steckdose. Also wenn ich Menschenrechte durchsetzen will, dann braucht der Mensch Energie. Und ohne Energie gibt es keine Menschenrechte. Wenn Sie das neue Buch von Bill Gates lesen, dann erklärt er, warum er, der er gegen Armut kämpft, und gegen Leid und Hunger und Krankheit, warum er jetzt bei Energie und Klima landet. Und die Begründung ist dieselbe, eins hat er in dreißig Jahren gelernt: Ohne Zugang zu Energie kann man die Armut und die Not nicht überwinden. Also eine Welt, die irgendwo die Nachhaltigkeitsziele der vereinten Nationen erstnimmt, muss sich überlegen: Was machen wir mit zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050, und wie kriegt jeder Anschluss an eine Steckdose? Und wie verhindern wir trotzdem den Klimakollaps? Das ist eine knallharte Frage. Diese Frage kommt in allen deutschen Debatten nicht vor. Kein Mensch will sich mit dieser Frage beschäftigen. Und die Frage ist, warum nicht? Die Leute beschäftigen sich mit Klimaschutz. Aber Klimaschutz ist eigentlich nur ein Narrativ zur Gewinnung von politischer Macht. Und zwar bei allen Parteien. Ich werfe das jetzt nicht einer speziellen Partei vor, sondern das ganze Thema Klima ist im Grunde genommen eine Bühne, auf der um politische Macht gerungen wird. Es ist zum Beispiel so: Im Moment gibt es Funkstille zwischen Deutschland und Marokko wegen West-Sahara. Obwohl Marokko unser bevorzugter Partner für grüne Energie aus Sonnenwüsten ist. Alle Projekte liegen auf Eis. Warum? Weil uns unsere Position in Bezug auf West-Sahara ist uns viel wichtiger als das Klimaproblem. Und die Grünen zum Beispiel bekämpfen die Atomkraft in Frankreich. Man könnte ja sagen, ist doch schön für die Grünen, dass wir keine Atomkraft mehr haben. Warum müssen wir die auch noch in Frankreich bekämpfen? Weil zumindest ist die Folge davon, dass wir kaum CO2 haben. In Frankreich haben wir nur halb so viel pro Kopf wie bei uns. Könnte wir noch sagen, freuen wir uns doch, dass unsere Nachbarn wenigstens wenig CO2 haben mir Kernkraft, obwohl wir sie abgeschafft haben. Die Schweizer überlegen gerade, dass sie ihre Kernkraftwerke zehn Jahre länger laufen lassen, weil sie nicht wissen, wie sie sonst das Klimaproblem angehen sollen. Direkt müssen die Deutschen dagegenhalten. Die Polen überlegen, was sie tun sollen, wenn sie aus der Kohle gehen. Sofort müssen die Deutschen dagegenhalten. Also statt dass wir zumindest die EU organisieren, und miteinander eine Lösung finden, wo jeder eben tut, was er glaubt tun zu können, nein, wir müssen unsere Narrative absichern. Also wenn ich meinen politischen Erfolg darauf baue, dass ich der deutschen Bevölkerung sagen kann: „Heraus aus der Kernenergie haben wir hingekriegt, heraus aus der Kohle haben wir hingekriegt. Jetzt kommt heraus aus dem Verbrenner, werden wir hinkriegen. Dann kommt noch heraus aus dem Gas, werden wir auch noch hinkriegen.“ Wenn das meine Siege sind, dann kann ich nicht zulassen, dass woanders der Verbrenner das dominante Antriebssystem bleibt. Dann kann ich nicht damit leben, dass woanders in der EU neue Atomkraftwerke gebaut werden. Weil dann ist ja sofort meine Position angreifbar. Also muss ich mein Narrativ absichern. Ich muss mich nicht damit beschäftigen, was mit dem Klimaproblem ist. Das ist eher sowieso zu kompliziert. Und wenn, dann muss sich da in zwanzig Jahren wieder jemand damit beschäftigen. Ich muss heute die Stimmen kriegen. Und man merkt sofort, den Leuten ist die Krim, die Situation mit der Ukraine, kommt jetzt Nord Stream oder nicht. Diese ganzen politischen Fragen, diese Geldfragen und so, sind den Leuten unendlich viel wichtiger als das Klima. Weil das Klima ist ohnehin noch so lange weg, und man kann ohnehin so wenig Wirkung erzeugen. Und darum ist das für unsere Wahlkämpfe viel angenehmer, diese internationale Dimension zu vermeiden. Und alle Parteien wollen sie vermeiden, weil sie ja sowieso nicht wüssten, was man tun soll. Also ist für alle eigentlich besser, das Klima wird nur aus deutscher Sicht diskutiert. Und dann, wissen Sie, alle erklären, wir kämpfen für das 1,5-Grad-Ziel. Wenn ich mir ernst zu nehmenden Menschen rede, finde ich eigentlich niemand, der 1,5 Grad für denkbar hält. Ich finde kaum einen, der zwei Grad für denkbar hält. Das stört uns aber nicht. Wir erzählen uns jeden Tag, wir engagieren uns für das 1,5-Grad-Ziel. Vor allen Dingen, als würden wir einen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel leisten. Nein, wir werden es sowieso nicht erreichen. Aber das hindert uns nicht daran, wie eine Monstranz jeden Tag anderthalb Grad zu erklären. Und wer dagegen reden würde, über den würden alle herfallen. Alle würden über den herfallen, der sagt, wir erreichen die anderthalb Grad sowieso nicht. #00:39:17-9#

Michael Sonnabend: Aber ist das nicht fahrlässig zu kurz gedacht, alles? Also ich meine, wo führt uns das denn hin? Sie haben gerade die Problematik angesprochen mit Verbrennern und Elektroautos. Es scheint ja so zu sein, als hätte man sich jetzt darauf geeinigt, die Zukunft ist Elektroauto. Ja, und das sehe ich auch in meinem persönlichen Umfeld. Also das scheint irgendwie dann jetzt auch in die Hirne eingesickert zu sein. Das kommt jetzt. Das wissen die Leute. Also das, da führt gar kein Weg mehr daran vorbei. Ich muss nur überlegen, wie ich meine Stromleitung hier in meine Garage kriege, so. Das ist, glaube ich, der Stand der Dinge. Nur frage ich mich, das ist doch auch schon wieder fürchterlich zu kurz gedacht. Weil, wo soll denn der Strom herkommen? Wir haben ja jetzt schon sozusagen Energie, die wir sozusagen importieren müssen. Und wenn hier noch vierzig Millionen Elektroautos herumfahren, potenziert sich das ja noch. Also ich meine, darüber muss man doch zumindest einmal sprechen. Das kann doch nicht sein, dass das überhaupt nicht thematisiert wird? #00:40:19-0#

F J Radermacher: Also erstens haben Sie völlig Recht. Aber zweitens ist das wirkliche Problem ja noch viel größer. Wir haben auf der Welt im Moment eine Milliarde Fahrzeuge mit Verbrennermotoren als PKW, dreihundert Millionen LKW. Die Zahl wird nach den Schätzungen die so vorliegen, bis 2030 sich in Richtung 1,6 Milliarden entwickeln, und Richtung 2050 Richtung zwei Milliarden. Das heißt, es werden mehr. Und ich persönlich habe gar keinen Zweifel, dass von den zwei Milliarden im Jahr 2050 deutlich mehr als heute Verbrennermotoren sein werden. Denn das, ich sage einmal, Elektroautoprogramm, das wir fahren, das ja teilweise Fördersummen von zehn bis zwanzigtausend Euro beinhaltet, das ist ja weltweit vollkommen illusorisch. Das ist überhaupt nicht finanzierbar. Von den Fördersummen für Elektroautos bei uns, können in Afrika vier Familien ein ganzes Jahr lang leben. Das heißt, die fahren sowieso unsere alten Autos. Und rund um uns herum werden die Leute Verbrennerautos deshalb fahren, weil es die klügere Lösung ist. Woran wir eigentlich arbeiten müssten, wären klimaneutrale, synthetische Kraftstoffe. Genauso müssten wir an klimaneutralem, synthetischem Heizöl arbeiten. Wir müssten nicht alle Häuser energetisch sanieren. Sondern wir brauchen ein klimaneutrales Heizöl. Wir müssen nicht die Verbrennerautos abschaffen, wir brauchen ein klimaneutrales Benzin. Aber diese Lösungen gefährden das Narrativ Batterie. Und indirekt gefährden sie das Narrativ, grüner Strom aus Deutschland. Ein ganz interessanter Spruch ist der: „Lieber Strom vom Deich als Öl vom Scheich.“ Ja, also die ganze Dummheit zeigt sich in so einem Satz. Ja? #00:42:27-5#

Michael Sonnabend: Mhm (bejahend). #00:42:28-3#

F J Radermacher: Ich meine, wir sind hier in einem Land, das siebzig Prozent seiner Energie importiert, aber dafür sehr viel Industriegüter exportiert. Das ist eine gute Methode für Wohlstand zu erzeugen. Es ist nicht so gut, die Industriegüter die man exportiert, durch Windenergie zu ersetzen, die man selber produziert. Weil die Wertschöpfung ist sowas von gering, dann kann man nur mit einem geringen Lebensstandard leben. Also wer einen hohen Lebensstandard will, der wird gucken, dass er die Energie von da importiert, wo sie einigermaßen preiswert zu haben ist. Durchaus zum Vorteil der Leute, die da leben. Und bei uns produzieren wir neue Technologien und Hightech. Würde also kein Geschäftsmodell daraus machen, dass man grünen Strom selber erzeugt. Wenn man grünen Strom selber erzeugt, dann landet man da, wo wir im Moment sind. Wir haben einen ganz teuren Strom. Und nur sieben Prozent unserer Nutzenergie. Also ich rede nicht von der Primärenergie mit den Verlusten, sondern ich rede jetzt von der Nutzenergie. Nur sieben Prozent der Nutzenergie sind neue, erneuerbare. Also Photovoltaik und Wind, sieben Prozent. Bei all dem, was wir da an Geld hereingesteckt haben. Das führt dazu, dass wir dieses absurde Bild des so genannten Champagners der Energiewende haben. Bei uns ist ja der grüne Wasserstoff mittlerweile für manche der Champagner der Energiewende, weil das ganz viel Strom braucht, der auch noch ganz teuer ist. Sodass es davon nur ganz wenig geben wird. Sodass man darauf zum Beispiel keine synthetischen Kraftstoffe machen darf. Man darf nur Batterien machen, weil wir mit unserem bisschen grünen Strom auskommen müssen. Wir sind noch unter zweihundert Terawattstunden, und wir träumen jetzt von sechshundert, siebenhundert Terawattstunden. Ja? Die Forschungsministerin hat mit den Fraunhofer-Leuten gerade einen Potenzialatlas für Westafrika vorgelegt. Darin kommt man auf problemlos erschließbare hundertsechzigtausend Terawattstunden an grünem Strom pro Jahr. Also wir machen ein Theater ohne Ende für ein paarhundert Terawattstunden, die wir aber unbedingt hier produzieren wollen. Und daraus kommen die ganzen Probleme. Woanders, da sind wir jenseits von hunderttausend Terawattstunden. Aber den wollen wir nicht, ja? Den wollen wir nicht, weil das letzten Endes das Narrativ gefährdet, dass die Autonomie bei der erneuerbaren Energie nicht nur der richtige Weg ist, sondern auch noch die neuen Arbeitsplätze schafft. Ja, das schafft Arbeitsplätze. Aber das sind alles Arbeitsplätze mit sehr niedriger Wertschöpfung, die im Wesentlichen daran hängen, dass wir unglaublich Subventionen da hereinschieben, und den teuersten Strom haben, den es in Europa gibt. Und dann sind das auch Arbeitsplätze, ja. Aber es sind nicht Arbeitsplätze wie früher, wo wir unsere Industriegüter exportiert haben. Und da liegt die Problematik. #00:45:46-2#

Michael Sonnabend: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, wir müssten einmal den Kopf heben und einmal gucken, was in der Welt so passiert. Und müssten uns davon verabschieden, sozusagen alles hier machen zu wollen, und hier machen zu können. Sondern unsere Lösung, die Lösung besteht eigentlich nur darin, dass wir sozusagen internationale Allianzen aufbauen? #00:46:10-0#

F J Radermacher: Ja, ich würde es noch viel einfacher erzählen. Also, wir waren immer Vertreter des offenen Welthandels, der internationalen Arbeitsteilung. Darum sind wir ja auch über lange, lange Zeit in der Exportwelt Meister gewesen, weil wir von dieser Arbeitsteilung unglaublich profitiert haben. Und natürlich haben wir dann Öl und Gas und Kohle von woanders her importiert. Und da wir ohnehin einen unglaublichen Zahlungsbilanz-Überschuss haben, und dauernd Ärger haben, weil wir zu wenig bei anderen kaufen, ist doch vollkommen in unserer Logik, dass wir diese Grundgüter von woanders einkaufen. Wie bisher. Und wenn wir jetzt eben nicht mehr so sehr fossil wollen, sondern anders, dann kaufen wir eben anders ein. Und für mich wird zum Beispiel einer der größten Anbieter, wird Saudi-Arabien sein. Und Aramco, der Größte Mineralölkonzern der Welt, arbeitet ganz stark in diese Richtung. Und wir arbeiten zum Beispiel in unseren Projekten mit Aramco Research in Paris zusammen. Aramco ist ein natürlicher Partner für eine Energiewende, vom Fossilen, hin in Richtung grünen Strom, grünen Wasserstoff und Derivate. Weil da sind die Wüsten, da ist der Kohlenstoff, da ist das Geld. Ja, das ist alles, was man braucht, für diese Transformation. Und man muss die Transformation mit diesen Partnern machen. Nebenbei gesagt ist auch Russland ein wichtiger Partner in der Transformation. Russland ist ja einer der großen Gaslieferanten. Gas ist tatsächlich auf absehbare Zeit der entscheidende Hebel, um weiterzukommen. Das Gas hat einen Weg hin zu grünem Wasserstoff. Es kann gut sein, dass Russland uns den grünen Wasserstoff liefern wird. Möglicherweise unter Nutzung von Strom aus Atomkraftwerken, wie die Franzosen. Das ist alles, was man vernünftigerweise tun würde, ja? Vernünftigerweise würde man, wenn man zum Beispiel mit Gas Stahl reduziert, würde man das CO2 am Stahlkraftwerk abfangen, würde das in Norwegen verpressen, dann wäre das ein klimaneutraler Prozess. Der ist viel, viel billiger, als der Weg über grünen Wasserstoff. Außer, man würde direkt bei uns aus Gas den Wasserstoff machen, das CO2 abfangen, verpressen. Wenn Sie aber bei uns den Wasserstoff durch Elektrolyse mit unserem erneuerbaren Strom machen wollen, dann ist das so teuer, dass Sie beim Champagner sind, und alles Mögliche nicht mehr geht. Also man merkt sofort, wenn man die Energiewende mit bestimmten, nationalen Geschäftsmodellen verkoppelt, dann wird es sehr teuer, und dann geht vernünftige, internationale Arbeitsteilung nicht. Dann ist es eben lieber Strom vom Deich als Öl vom Scheich. Aber auch lieber Strom vom Deich, als grüner Wasserstoff vom Scheich. Und natürlich, dann ist es immer das dreckige Putin-Gas. Ja aber, bitte, ich meine, Russland ist unser wichtigster Partner auf dieser Seite, naher Osten, ja? Wer irgendwo eine Zukunft gestalten will, kann die Zukunft nur mit Russland zusammen/ Gegen Russland kann man keine Zukunft gestalten. Und wenn Russland ökonomisch kollabiert, gibt es für uns auch keine Zukunft. Denn was Russland tun wird, wenn sie vor einem ökonomischen Kollaps stehen, das ist so grauenhaft. Da wird man alles tun, dass es dazu nicht kommt. Also wird man doch nicht anfangen, sich moralisch mit dem dreckigen Putin-Gas zu beschäftigen. Sondern wir profitieren von diesem Gas seit Jahrzehnten. Und wir müssen gucken, wie wir in der Arbeitsteilung mit Russland weiterkommen. Russland hat auch enormes Potenzial für die Aufforstung von Bäumen in seinen Wäldern. In seinen riesigen, sibirischen Wäldern, hat Russland noch ein riesen Potenzial, CO2 zu binden. Wir werden Russland überall brauchen. Aber wir erlauben uns eine Diskussion, bei der sich viele freuen, wenn wir Russland und Saudi-Arabien in Probleme bringen. Also ökonomisch in Probleme, weil wir ja Lösungen haben. Dann werden die nicht mehr gebraucht. Dann sind wir noch richtig stolz, was wir hingekriegt haben, statt eine Minute darüber nachzudenken was passiert, wenn die wirklich in Probleme kommen. Weil, die machen uns dann Probleme, da wissen wir dann wirklich nicht mehr weiter. #00:50:54-0#

Ernst Timur Diehn: Diese Politik, mediengesellschaftliche Diskussionen, zu lange darauf ausgeruht, komplexe Themen zu ideologisieren, zu moralisieren, um damit Komplexitätsreduktion ja herzustellen. Das ist ja auch in einer gewissen Bandbreite auch legitim. Man kann ja nicht über alles endlos reden. Wäre jetzt das Gegenargument. Aber eigentlich sind wir jetzt an diesem Punkt. Dass wir irgendwo, irgendwo haben wir eine Verklemmung zwischen moralisierter Diskurs, und staatsmännische Kunst, Komplexitäten zu erkennen und damit umzugehen. Die Frage habe ich schon einmal gestellt: Wie kommen wir denn da auch eigentlich jetzt von der Bewusstseinswerdung her eigentlich voran? Weil Sie erklären jetzt ja auch schon seit vielen Jahrzehnten komplexe Dinge. Und ich finde, das machen Sie sehr gut. Und dieses geduldige Bohren dicker Bretter, es bleibt ja nichts anderes als das übrig. Aber irgendwo brauchen wir doch irgendwo auch wieder einen größeren Hebel. Fehlt es ein bisschen an einer erwachseneren Perspektive, dass man sich auch einmal zwischen Fraktionen in Ruhe einmal wieder zusammensetzt, und wirklich ehrlich diskutiert, was zu tun ist? Also auch in der gemeinsame Sorge um die Gesellschaft, die Zukunft, den Staat? #00:52:23-2#

F J Radermacher: Ich warte im Momente einmal, was nach der Wahl passiert. Denn in dieser aufgeheizten Stimmung hat ja die Koalition ein enorm weitgehendes Klimagesetz verabschiedet, das uns bis 2030 Dinge aufzwingt, die eigentlich gar nicht zu schaffen sind. Jetzt nach der Wahl wird die Regierung, die dann da ist, die wird irgendwo einen Kassensturz machen, und dann einmal überlegen, was man denn tun kann. Und meiner Ansicht nach sind die Ziele ohne globale Kompensationsmechanismen nicht zu schaffen. Das heißt, wir werden viel Geld bezahlen müssen in den Süden, und wir können uns Potenziale des Südens anrechnen, damit wir dann rechnerisch bei null sind. Das alles läuft unter Artikel Sechs des Paris-Vertrags. An Artikel Sechs hängen unheimlich viele Interessen. Weil es geht eben darum, für was Geld fließt, was klimaneutral ist, und was nicht. Ganz viele NGOs blockieren da. Wir sind in all diesen Jahren bisher mit Artikel Sechs keinen Schritt weiter. Alle hoffen jetzt, dass wir in Glasgow vielleicht einen Durchbruch kriegen. Und dann hätten wir internationale Mechanismen, die eine große Rolle spielen. Dann werden wir überlegen, was tun wir denn mit denen? Also die Schweiz ist da sehr weit. Ich finde die Schweiz an vielen Stellen vorbildhaft. Das heißt, die haben eine Klimaabgabe, wo sie einen Teil des Geldes benutzen, um global zu kompensieren. In Rahmen von Projektpartnerschaften, die sie mit Entwicklungsländern verabredet haben. Und das heißt, das Geld des Bürgers, der CO2 emittiert, fließt zum Schluss in diese Entwicklungs- und Schwellenländer. Und da wird zum Beispiel Aufforstung, Regenwaldschutz, Humusbildung, und so weiter, finanziert. Das ist für mich der richtige Ansatz. Also der, der das CO2 emittiert, finanziert, dass es wieder aus der Atmosphäre herauskommt. Durch Negativemission. Natürlich, viele auf der grünen Seite in Deutschland wollen das nicht. Denn alles Geld soll hier blieben für grüne Projekte. Darum schreien sie dann, bei so Projekten in Afrika, schreien sie immer ganz laut, Ablasshandel. Aber der ganze Sinn dieser Narrative ist nur, dass das Geld hier bleibt. Also die deutsche Logik ist: Ich mache eine Klimaabgabe. Aber was mache ich mit der? Ich gebe sie in Teilen wieder zurück. Und in Teilen finanziere ich Aufladepunkte für Elektroautos. Jetzt müsste ich erstmal beweisen, dass das Finanzieren von Aufladepunkten für Elektroautos irgendeinen Einfluss hat, auf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Ich zahle ja als Bürger nur gerne meine Klimaabgabe, wenn es einen Effekt auf CO2 hat. Wenn es aber gar keinen Effekt hat, warum soll ich dann eine Klimaabgabe bezahlen? Warum verbietet mir die Regierung, dass ich stattdessen in Afrika die Aufforstung bezahle, die auch noch die (STJs?) fördert, für die dortige Bevölkerung? Nun, ich glaube, es wird eng werden. Das war jetzt der entscheidende Teil der Aussage. Weil, die Bottom Line ist ja: Wir können so viel falsche Narrative machen, wie wir wollen. Wir können mit all diesen Narrativen die Wahlen gewinnen. Wir können unser ganzes Geld in Aufladepunkte für Elektroautos stecken. Und zum Schluss kommt die Klimakatastrophe. Die ist das eigentliche Problem. Weil die macht uns auf der Welt viel ärmer und bedroht die Zivilisation. Und wir merken das ja. Wir merken jetzt, also die Kalkulationen selbst auf der europäischen Forschungsebene sagen, 2030 ist das Anderthalb-Grad-Ziel schon gerissen. Das ist dann vorbei, 2030, ja? Da können wir nicht mehr mit der Monstranz herumlaufen, weil wir sind schon über anderthalb Grad. Und irgendwann wird das Zwei-Grad-Ziel gerissen. Da können wir sagen, wir haben einen Paris-Vertrag, ja? Ja, aber wir sind schon über zwei Grad. Und dann merken wir, was droht. Und ich glaube dass das, was uns irgendwann in Handlung bringen wird, das ganz offensichtliche Scheitern der momentanen Politiklinie ist. Bei uns. Man muss einmal sagen, andere haben ja diese Politiklinie nicht. Also wir müssen immer aufpassen, sind wir in diesen merkwürdigen, deutschen Diskussionen, in Teilen merkwürdigen, europäischen Diskussionen, oder sind wir in der weltweiten Diskussion. Die Chinesen diskutieren das alles ganz anders. Die Russen diskutieren das anders. Die Inder diskutieren das anders. Und die großen Entscheidungen werden ohnehin dort fallen, weil dort die Bevölkerung wächst, und die aus der Armut heraus wollen, und dem chinesischen Beispiel folgen. Also wir sind letztlich ja für diese Fragen sowieso irrelevant. Aber selbst unsere Narrative werden zusammenbrechen, wenn wir nämlich sehen, dass es auf der Welt gerade nicht kommt, was wir behaupten zu fördern. Wir tun das ja alles angeblich wegen Anderthalb-Grad-Ziel. Wegen Zwei-Grad-Ziel, wegen Paris-Vertrag. Es gibt auch noch Leute die behaupten, wir hätten uns dazu völkerrechtlich verpflichtet. Das ist alles Unsinn. Aber ist egal. Diese Storys haben wir ja alle. Aber wenn wir zum Schluss jenseits von zwei Grad sind, dann sind diese Storys irgendwann zu Ende. Weil die Realität ist über diese Storys hinweg gegangen. Und das wird passieren. Und ich nehme an, dann werden sich Dinge verändern. Natürlich ist dann viel Zeit vergangen, wir haben viele Fehler gemacht. Es wird unkomfortabler, als es hätte sein müssen. Aber es steht ja nirgendwo geschrieben, dass die Dinge glücklich, gut und glatt laufen. Sondern es ist auf der Welt so, also ich meine, der Amerikaner würde sagen, Shit happens. Ja, also mit anderen Worten: Es passiert des Öfteren, was wir eigentlich besser vermeiden hätten. Aber wenn es dann passiert, dann müssen wir damit trotzdem irgendwie klarkommen. #00:58:37-5#

Ernst Timur Diehn: Gibt es denn gute Nachrichten aus der freien Wirtschaft, freiem Unternehmertum? Also im Hinblick für neue Energielösungen, Wasserstoffkreisläufe, Methanolwirtschaft? Tut sich denn jenseits der Politik dann doch schon etwas? Braut sich sozusagen etwas Positives zusammen, etwas Konstruktives, auf dem man dann auch später aufbauen kann, wenn Einsichten folgen? #00:58:59-6#

F J Radermacher: Ja natürlich, es tut sich etwas. Und für mich ist ein wunderbares Beispiel das Projekt von Porsche mit Siemens Energy, in der chilenischen Wüste. Und das ist ein Projekt, wo sie dort Methanol erzeugen. Und das bringen sie nach hier, und machen hier daraus Methanolbenzin. Dieses Methanolbenzin werden sie zunächst einsetzen für ihre Rennwagen. Und das Fernziel ist, dass die Porsche-Verbrenner irgendwann klimaneutral werden, mit Methanolbenzin. Und Porsche sagt ja immer: „Wir sind die nachhaltigste Automobilcompany. Weil siebzig Prozent aller von uns je gefertigten Autos fahren noch.“ Also mit anderen Worten, es gibt all die Autos noch. Und die können ja nur Verbrenner sein. Und wenn ich die klimaneutral kriegen will, dann brauchen die zum Beispiel Methanolbenzin. Und Siemens und Porsche Energie machen das jetzt in der chilenischen Wüste. Und immerhin fördert das deutsche Wirtschaftsministerium dieses Projekt. Also das ist für mich so ein Leuchtturm. Sehr interessant ist aber auch eine Firma in Vorarlberg, die heißt Obrist. Und Obrist hat eine, aus meiner Sicht, auch spannende Lösung gefunden. Denn die haben jetzt ein Auto, das fahren sie mit einem sehr stabilen, kleinen Motor, der immer nur im idealen Lastbereich läuft. Und diesen Motor, den befeuern sie auch mit dem Methanol. Mit einem, sie nennen das A-Methanol. ist ein klimaneutrales Methanol. So ziemlich so in Richtung wie Porsche das auch macht. Die machen auch kein Methanolbenzin. Deren Motor fährt gleich mit dem Methanol. Das ist günstiger. Aber das Schöne ist, was macht dieser Motor? Dieser Motor, der speist eine kleine Batterie. Und das Ganze haben sie in Teslas herein gebaut. Also ihre Demofahrzeuge sind Teslas. Sie haben die Siebenhundert-Kilo-Batterie herausgeworfen, sie haben da jetzt eine Neunzig-Kilo-Batterie. Eine kleine, schöne Batterie. Diese kleine, schöne Batterie lebt von dem Strom, den dieser kleine Motor produziert, der immer im günstigsten Lastbereich läuft. Der ist eigentlich ein Verbrenner, der ein Elektroauto ist, uns ist klimaneutral. Und wenn man das Auto sieht, ist es ein großartiges Auto. Es hat die ganze Optik von dem Tesla. Ist aber in Wirklichkeit ein Verbrenner, mit einem ganz kleinen Verbrennermotor, und einem ganz kleinen Elektromotor. So. Das zeigt einem doch erst einmal, wenn Ingenieure herankommen, wenn Gehirne benutzt werden, dann gibt es erstaunliche Dinge. Hier ist das Entscheidende: Wie entsteht eigentlich dieses Methanol, das sie benutzen, ja? Und die haben das so gemacht, dass sie sogar mit allen Grünen einig sind. Das heißt, die haben wie die Porsche-Leute die teuerste Lösung benutzt. Die machen ihren Kraftstoff aus grünem Wasserstoff, den sie mit CO2 verbinden. Aber dieses CO2 holen sie mit Direct Air Capture aus der Atmosphäre. Das akzeptieren selbst die radikalsten Grünen als klimaneutral. Wenn ich das CO2 mit Direct Air Capture heraushole, und nachher geht es wieder herein. Aber das ist dann plus/minus null. Diese Leute bekämpfen, dass man das CO2 in einem Kohlekraftwerk abfängt. Das wäre natürlich die normale Lösung. Jede normale Lösung wäre, da das CO2 abzufangen, wo es in unheimlicher Konzentration in einem Luftstrom ist. Nein, das ist verboten. Das könnte ja ein Lock-in-Effekt zu Gunsten der Kohle geben. Also wenn ich in unserer Welt der Grünen klimaneutrale Kraftstoffe will, dann muss ich für ganz viel Geld das CO2 mit Direct Air Capture aus der Atmosphäre holen. Aber das macht Porsche, und das macht Obrist. Und Obrist produziert seinen Wasserstoff in Namibia. Also in einem ganz armen, afrikanischen Land. Große Entwicklungswirkung, kommt ein toller Kraftstoff heraus. Und das Tollste ist, die haben den Prozess jetzt sogar so modifiziert, dass sie außerdem noch zusätzlich zwanzig Prozent CO2 zusätzlich aus der Atmosphäre holen, und in irgendeine Basaltform überführen. Das heißt, die waren jetzt auf der IAA, und werben mit einem Auto, wo sie bei jedem Kilometer den sie fahren, ungefähr dreißig Gramm CO2 aus der Atmosphäre herausholen. Das ist jetzt praktisch ein CO2-Staubsauger, ja? Sie fahren jetzt, je mehr Sie fahren, umso besser für die Atmosphäre. So. Gut, das ist natürlich auch ein bisschen Marketing. Aber es zeigt eigentlich, wo wir hinmüssen. Wir müssen zu viel besseren Technologien, und dann sind wir eigentlich bei dem Ausgangspunkt. Die Lösung ist wie immer die Wissenschaft, und die Lösung ist wie immer die Technik. Und übrigens genauso wie bei Corona. Die Lösung bei Corona ist der Impfstoff, und nicht dieses politische Theater. So wichtig das auch sein mag. Aber, ich sage einmal, der Gamechanger, das, was die Welt anderes macht, das ist die Wissenschaft und die Technik, und die neue Lösung. Und so war das immer. So war das die letzten zehntausende Jahre immer. Wir haben uns immer nur mit neuer Technik retten können. Und das wird bei dem Klima genauso sein. Weil wir brauchen einen Energiewohlstand für zehn Milliarden Menschen, und nicht die Verwaltung von Energieknappheit, weil wir dann nur Ärger miteinander haben. Wir kommen vor lauter Ärger über die Verteilungsfrage überhaupt nicht vorwärts. Wir müssen dafür sorgen, dass wir einen Energieüberfluss haben. Aber der muss klimaneutral und umweltfreundlich sein. Und dafür brauchen wir Technik und Wissenschaft. Und ja, da laufen ganz viele Prozesse. Wir selber koordinieren ein ganz großes Projekt dazu. Das ist das Projekt Global Energy Perspecties. Wir haben eine Förderung des Entwicklungsministeriums. Wir arbeiten sehr eng mit Minister Müller zusammen. Und wir sind froh, dass er jetzt einen wichtigen Job bei den vereinten Nationen übernehmen wird. Also nach Herrn Töpfer und Herrn Steiner, haben wir wirklich mit Herrn Müller den nächsten, großen UN-Schritt von Deutschland aus. Und Herr Müller, der hat natürlich diese Visionen, die ich hier beschreibe, aus der Sicht der sich entwickelnden Länder. Wie kriegt jeder eine Steckdose, und das klimaneutral? Und wie nutzen wir die Sonnenwüsten der Welt? Und welche Technologien setzen wir in den Sonnenwüsten ein? Und wo stellen wir den grünen Wasserstoff her? Und wo machen wir daraus die Derivate? Weil das Problem ist, wir können den Strom nicht gut transportieren. Wir können aber auch den Wasserstoff nicht gut transportieren. Wir können Wasserstoff nicht gut über Meere transportieren. Wir können aber die Derivate wie Methanol, Ammoniak, und auch Methan, die können wir gut transportieren. Und da sind wir da, wo wir heute mit Benzin und Öl sind, und Gas. Also wir müssen im Grund genommen, wir müssen immer da hinkommen, dass wir die bestehenden Infrastrukturen weiter nutzen können. Wir müssen nicht alles abreißen, wir müssen umbauen. Wir müssen die Kohlekraftwerke umbauen, in klimaneutrale Gaskraftwerke. Und wenn uns das gelingt, haben wir eine Chance. Und das Gute ist, an all diesen Themen arbeiten viele Firmen. Bei uns und anderswo. Aber bei uns auch. Wir sind in vielen Fragen Technologieführer. Und diese Firmen arbeiten weltweit. Und da arbeiten sie vollkommen außerhalb der deutschen Diskussion. Das heißt, die deutsche Diskussion bewirkt zwar, dass sie bestimmte Dinge in Deutschland nicht tun, und nicht verkaufen dürfen. Und im Zweifelsfall geht der Verbrenner dann nach China. Das heißt aber nicht, dass man nicht Verbrennermotoren einsetzt, da wo auf der Welt die Verbrennermotoren gebraucht werden. Nur, man wird sich nicht, ich sage einmal, die deutsche Debatte antun. Man will nicht den Shitstorm. Man will nicht jeden Tag von einem NGO vor sich hergetrieben werden, man würde die Welt zerstören und Mutter Natur Schmerzen zuführen, ja? Dazu hat man wirklich keine Lust. Wenn man das hier eben nicht kann, dann arbeitet man hier in dem gesetzten Rahmen, hofft, dass die Politik dafür das Geld produziert. Das ist der deutsche Markt. Von mir aus ist das auch die EU. Und woanders auf der Welt passiert ganz woanders. Und da ist man mit seinen Technologien auch dabei. Und das ist gut für uns, und gut für die Welt. #01:07:45-7#

Ernst Timur Diehn: Sie haben ja sogar schon einmal auch einmal erklärt, dass sogar die Öl- und Gasindustrie, so wie sie existiert, infrastrukturell eingebaut werden könnte in die neuen, grünen Energiekreisläufe. Können Sie das noch mal erläutern, auch aus der Sicht vielleicht der Machbarkeit, wo man hier ansetzen könnte? Ja, das ist vielleicht geostrategisch aber nicht realisierbar. Oder, also wo Sie auch so Ihren eigenen Advocatus Diaboli spielen können. Weil es sind ja große Würfe. Man versteht das schnell. Aber dann kommt ja die Frage nach der Machbarkeit? #01:08:21-9#

F J Radermacher: Gut. Man muss immer in Rechnung stellen: Die großen Mineralölkonzerne geben jedes Jahr sechshundert, siebenhundert Milliarden aus, um neue Felder zu explorieren. Also neue Öldepots, neue Gasdepots, und so weiter. Wenn wir eine Transition wollen in eine klimaneutrale Welt, dann sind das die wichtigsten Akteure, die das Geld, was sie in Neuexplorationen zum Beispiel von Ölquellen schicken, dieses Geld müssen sie eigentlich zum Beispiel in der marokkanischen Wüste, in der saudischen Wüste, in Oman, wo auch immer, wo die Sonne scheint, wo die Bedingungen, wo Land wenig kostet, müssen sie mit ihrem Geld anfangen, vor allen Dingen einmal den grünen Strom zu produzieren. Und dann nicht mehr ein paarhundert Terawattstunden. Sondern wir reden dann über zehntausend, fünfzigtausend, hunderttausend Terawattstunden. Und dann wird die Welt irgendwann nicht mehr mit Öl und Gas versorgt. Sondern Ausgangspunkt von allem sind dann diese Terawattstunden, die ich da, wo ich Netze habe, über Netze verteilen, und den Strom verkaufen kann. Aber wir wissen alle, mindestens die Hälfte der Story ist grüner Wasserstoff. Also werde ich an den richtigen Stellen mit dem eingesetzten Geld, werde ich dann da herangehen, und produziere zum Beispiel den grünen Wasserstoff über Elektrolyse. Voraussetzung: Der Strom muss sehr billig sein. Er muss unter zwei Cent pro Kilowattstunde sein. Mittlerweile ist er an vielen Stellen schon deutlich darunter. Also preiswerter, grüner Strom, ist die Voraussetzung für preiswerten, grünen Wasserstoff. #01:10:10-3#

Ernst Timur Diehn: Also riesige Solaranlagen in der Wüste? #01:10:12-6#

F J Radermacher: Riesige Solaranlagen. Aber man muss auch an der Stelle wissen, um, sagen wir, an die vierhunderttausend Terawattstunden zu kommen. Also überlegen Sie, die Deutschen ringen um vierhundert Terawattstunden dazu. Wir reden jetzt über vierhunderttausend Terawattstunden. Da brauchen wir flächenmäßig etwa tausendzweihundert mal tausendzweihundert Kilometer. Das ist zwar viel, aber selbst für Afrika, auf Afrika alleine bezogen, wenig. Aber wir haben ja nicht nur Afrika. Wir haben ja Wüsten überall auf der Erde, das verteilt sich. Also es gibt kein Flächenproblem. Und, interessanter Weise, es gibt auch kein Modulproblem. Diese Sachen haben wir alle schon durchgearbeitet, andere Leute auch. Also man kann die Solarmodule produzieren über die nächsten vierzig Jahre, die man brauchen würde, um in die Größenordnung von mehreren hunderttausend Terawattstunden grünen Strom pro Jahr zu kommen. Und alles spricht dafür, dass es unter zwei Cent pro Kilowattstunde gehen würde. Und das verändert vollkommen die globale Situation. Trotzdem muss man immer wissen: Der Strom ist in der Nutzung ein Drittel bis die Hälfte. Und man muss mehr als die Hälfte von dem Strom dann über Elektrolyse in den Wasserstoff verwandeln. Da haben wir im Moment einen entscheidenden Engpass bei den Elektroseuren. Das heißt, es gibt die Technologie nicht, in den Volumina die wir brauchen, um diese andere Hälfte in den grünen Wasserstoff zu überführen. Das ist ein ganz großer Engpass. Und da müsste viel mehr auf der Welt passieren. Und selbst wenn das erfolgt wäre, muss immer noch der dritte Schritt passieren. Nämlich der Schritt zu den synthetischen Kraftstoffen. Also Methanol, Methan, Ammoniak, grün. Weil das ist das, was man transportieren kann. Und da kann man die heutigen Infrastrukturen nutzen. Weil dann haben wir ein Produkt, das ist im Grunde genommen wie Öl und Gas. Und da können wir die Pipelines nutzen, die wir haben, die Schiffe nutzen, die Raffinerien nutzen, die LKWs nutzen. Wir können die gesamte Infrastruktur nutzen, die wir haben. Und das ganz wichtige Prinzip für uns heißt immer, neu nutzen, und nicht abreißen. Weil wir können dieses ganze Abreißen, können wir weder finanzieren, noch ressourcenmäßig darstellen. Man muss sich aus dem Buch von Bill Gates eine Zahl merken. Bill Gates hat kalkuliert: Bis 2060 müssen wir jeden Monat einmal die Bausubstanz von New York hinstellen. Anders ausgedrückt, bis 2060 fünfhundert Mal New York. Dann kriegt man ein Gefühl für die Größenordnung, mit der die Welt sich auseinandersetzt, ja? Und wir können in diesem Prozess nicht einfach alles noch abreißen, was wir haben, weil wir schon so viel Neues brauchen für all die Menschen, die noch kommen, und all die Menschen, die nichts haben. #01:13:11-0#

Ernst Timur Diehn: Und deswegen auch sehen Sie also Wasserstoff als Brücke, hin zu einer Methanol-Kreislaufwirtschaft, die sich dann wieder mit Wasserstoff zusammentut. Dann, in großen Städten kann man durchaus Elektromobilität auch fördern. Also ideologiefrei, aber intelligent die verschiedenen Möglichkeiten, die wir haben, kombinieren? #01:13:30-5#

F J Radermacher: Ja. Wobei, für mich ist jetzt Brücke eigentlich das falsche Wort. Sondern, wenn wir die grüne Energie wollen, wenn wir einmal von der Geopower absehen, und von den Ozeanbewegungen und so, bleibt uns im Grunde genommen der grüne Strom, den wir aus Wind, oder über Photovoltaik produzieren. Also der grüne Strom ist immer der Start. Aber wir können nicht alle Probleme unseres Lebens mit Strom lösen. Auch weil wir die Energie manchmal brauchen, wenn der Strom nicht da ist. Und deshalb müssen wir diese Energie teilweise in die Form Wasserstoff überführen. Und weil wir den Wasserstoff nicht gut transportieren können, müssen wir den Wasserstoff, den grünen, teilweise in die Derivate überführen. In dem Sinne ist das eine Kette. Ist auch nicht irgendwie eine Brücke für zwei Jahrzehnte. Sondern das ist die Dauerlösung. Die Dauerlösung ist letztlich die Energie der Sonne zu ernten. Aber einen Teil davon nicht als Strom zu nutzen, sondern in dieser Molekül- und Gasform. Ja, und dafür müssen wir diese Zwischenschritte machen. Und das alles ist dann ökonomisch darstellbar, etwa zum heutigen Preisniveau, wenn der grüne Strom ganz wenig kostet. Und wenn die Elektrolyse wenig kostet. Und das sind die Stellen, an denen wir technisch-ökonomisch ansetzen müssen. Lohnt sich auch wieder das Buch von Bill Gates. Weil der sagt, die entscheidende Frage für unsere Zukunft sind die Differenzkosten. Was kostet die grüne Variante im Gegensatz zur bisherigen Variante? Ich meine, man muss sich ja immer eins klarmachen: Grüner Strom ist Strom. An dem grünen Strom ist nichts anders, als an dem Strom vorher. Außer der Entstehungsprozess. An dem grünen Wasserstoff ist nichts anders, als an bisherigen Wasserstoff. Der einzige Unterschied ist der Entstehungsprozess. Es ist für uns nicht leicht zu ertragen, dass dasselbe viel teurer wird, nur weil es anders entsteht. Also mit anderen Worten: Was wir eigentlich ganz gerne hätten, wäre, wir kriegen den grünen Strom etwa zu dem Preis für Strom heute, und wir kriegen das grüne Gas etwa zu dem Preis von Gas, und wir kriegen den grünen Wasserstoff etwa zu dem Preis von Wasserstoff. Und das sind bei Bill Gates die Differenzkosten. Und wir müssen gucken, dass wir die Differenzkosten gegen null treiben. Und wir kommen mit den Differenzkosten sehr weit, wenn schon der Strom sehr preiswert ist. Und da sind wir eben heute schon. Wir sind schon zum Teil deutlich unter zwei Cent pro Kilowattstunde. #01:16:11-1#

Ernst Timur Diehn: Dann kann die ganze Welt mitmachen. Weil das insgesamt nicht so teuer wird, wie im Moment das deutsche Modell teuer ist, um grünen Strom zu produzieren. #01:16:18-6#

F J Radermacher: Wir zahlen ja bei uns als Endkunden dreißig Cent und mehr. Und wir sind da unten im Moment, sagen wir einmal, irgendwo bei anderthalb Cent. Ja? Und das ist eine Voraussetzung dafür, dass zehn Milliarden Menschen einigermaßen komfortabel leben können. Und was die eigentlich brauchen ist preiswerte Energie. Aber die muss grün sein, die muss klimaneutral, klimafreundlich, Biodiversity freundlich sein. Dann können wir im Energieüberfluss leben. Weil wir klug genug waren, einen neuen Weg zum Energieüberfluss zu finden. Dagegen die Vorstellung, wir machen das alles national. Und dann haben wir wenig Energie. Aber wir können ja sparen. Wir leben sowieso viel zu sehr in Saus und Braus. Wir haben die Erde geschändet. Wir müssen jetzt Buße tun. Es muss weh tun. Es muss weniger sein. Das ist ein Programm, das mögen sich reiche Leute mit einer Erinnerung an Martin Luther antun können. Ja? So. Aber da ist kein Programm für die Welt, und schon gar kein Programm für Leute, die noch nichts haben. Die wollen aus der Armut heraus. Und dazu brauchen sie Energie. Und die muss preiswert sein. Und wir alle können nur hoffen, dass wir diese Energie in Frieden mit der Umwelt, und mit einem stabilen Klimasystem hinbekommen. Und dafür gibt es zumindest eine Chance. Aber die deutsche, europäische Politik im Moment, blockiert diese Chance. Weil sie diese Konkurrenz nicht will. Und deshalb eine Regulierung betreibt, in der zum Beispiel die Derivate in Autos nicht genutzt werden können als klimaneutral. Weil wir das denen regulativ absprechen. Und wir arbeiten bei dem Atomstrom in Frankreich daran, dass wir zwar nicht sagen, der ist nicht klimaneutral. Aber jetzt machen wir eine Taxonomie, und sagen, der ist aber nicht nachhaltig. Und wir finden dann immer ein Wort, um Dinge zu verbieten. Wenn wir aber alle diese Dinge verbieten, dann wird es weltweit nicht preiswert. Da wird es auch bei uns nicht preiswert. Jetzt können wir sagen, wie sind so reich, und wir müssen büßen. Gut, der Reiche der büßt, der wird dann eben ärmer, und der lebt dann damit. Er ist ja sowieso der Reiche. Aber das ja ist kein Programm für Milliarden Menschen, die noch nicht einmal eine Steckdose haben. Und wenn wir auf der Erde friedlich über diese Hürde wollen, dann brauchen wir bezahlbaren Energiewohlstand. #01:18:49-7#

Michael Sonnabend: Ja, Herr Radermacher. Vielen Dank für die Einblicke. Also bei mir hat sich der Horizont geöffnet. Es ist immer wieder toll mit Ihnen zu sprechen, und zu hören, was alles dann doch denkbar ist. Und dass wir nicht automatisch auf eine Dystrophie zusteuern, auch wenn man das manchmal befürchten könnte. Ich habe das Gefühl, wir könnten das demnächst noch einmal vertiefen. Aber das schauen wir dann einmal. Für heute sage ich erstmal vielen Dank, und schönen Tag noch. #01:19:24-0#

Ernst Timur Diehn: Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben. #01:19:26-4#

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